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Litigation-PR – eine moderne Form des rechtlichen Gehörs?

Volker Boehme-Neßler_Foto privatDer Litigation-PR-Blog [1] freut sich, einen Gastbeitrag des Medienrechtlers Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler [2] veröffentlichen zu dürfen. Herr Professor Boehme-Neßler gehört zu den wissenschaftlichen Wegbereitern der Rechtskommunikation in Deutschland. Das belegen nicht zuletzt seine zahlreichen, thematisch einschlägigen Publikationen.

Vor Gericht zu stehen, ist im besten Fall unangenehm, nicht selten sogar bedrohlich. Umso wichtiger:  Das Grundgesetz lässt nicht zu, dass mit einem Menschen ein „kurzer Prozess“ gemacht wird. Art. 103 Abs. 1 GG [3] enthält einen Grundpfeiler des Rechtsstaats –  das rechtliche Gehör. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet diesen Grundsatz treffend als prozessuales Urrecht jedes Menschen. Das hat Konsequenzen: Betroffene dürfen vor Gericht reden. Das kann Ihnen niemand nehmen. Gerichte müssen zuhören, und sie müssen bei ihren Entscheidungen berücksichtigen, was sie gehört haben. Aber was hat das mit Litigation-PR zu tun?

Auf den ersten Blick: Nichts. Denn rechtliches Gehör ist nur vor Gericht garantiert. Litigation-PR findet aber gerade außerhalb des Gerichts in den Medien und der Öffentlichkeit statt. In Wirklichkeit ist die Lage aber komplizierter. Litigation-PR zielt zwar direkt auf die Öffentlichkeit, aber indirekt auf das Gericht. Sie spielt quasi „über die Bande“. Gerichte sollen über den Umweg der Öffentlichkeit beeinflusst werden. Ein  Prozessbeteiligter, der Litigation-PR einsetzt, nutzt zusätzliche Kommunikationswege neben den klassischen prozessualen Rechten, um das Gericht zu erreichen. Ein Beispiel aus der Welt des Strafrechts: Staatsanwälte, die prominente Beschuldigte live unter den Augen einer großen Medienöffentlichkeit verhaften, kommunizieren eine starke Botschaft – auch und gerade an die Richter. Die medial verstärkte Kommunikation kann so laut werden, dass sie die späteren Äußerungen der anderen Prozessbeteiligten vor Gericht „übertönt“. Ganz konkret: Wenn Medien intensiv und mit schmutzigen Details über einen Angeklagten berichten und ihn vorverurteilen, kommen seine Aussagen im Gerichtssaal möglicherweise zu spät – und sind zu leise.

Das ist dann ein echtes verfassungsrechtliches Problem. Denn das Grundgesetz will Grundrechte, die in der harten Praxis wirksam sind. Ein nur noch formal garantiertes, praktisch aber unwirksames rechtliches Gehör ist deshalb nicht in seinem Sinne. Litigation-PR kann also durchaus ein ernstes Problem für das audiatur et altera pars sein. Sie kann aber auch – nur scheinbar paradox – eine zeitgemäße Form des rechtlichen Gehörs darstellen. Wie das?

Wir leben im Zeitalter der Medialisierung: Medien durchdringen alle Bereiche des Lebens und verändern sie – schleichend über Jahre oder plötzlich, grundlegend oder nur marginal. Diesem Sog der Medien kann sich auch das Recht nicht auf Dauer entziehen. Das heißt: Art. 103 Abs. 1 GG – und die juristische Kommunikation insgesamt – müssen die mediale Massenkommunikation mit ins Kalkül ziehen. Eine juristische Auseinandersetzung wird immer öfter nicht nur im Gerichtssaal, sondern auch im Court of Public Opinion geführt (werden müssen). Eine formale Beschränkung des rechtlichen Gehörs auf die Kommunikation im Gerichtssaal ist den modernen Kommunikationsstrukturen nicht mehr angemessen. Die Kommunikation, die außerhalb des Gerichtssaals stattfindet, entfaltet im Medienzeitalter ebenfalls Wirkung auf den Gerichtssaal. Das mag man begrüßen oder bedauern – ignoriert werden darf es nicht.  Prozessbeteiligte, die nur im Gerichtssaal kommunizieren, sind möglicherweise schlecht beraten. Es gibt Fälle, in denen sie zwingend auch in der Öffentlichkeit über ihren Rechtsstreit reden müssen.

Das bedeutet: Art. 103 Abs. 1 GG ist gleichzeitig verfassungsrechtliche Garantie und Grenze von Litigation-PR. Einerseits ist Litigation-PR eine moderne, der Mediengesellschaft angepasste Möglichkeit, Standpunkte zu äußern und Informationen zu verbreiten. Insofern ist sie eine moderne, medialisierte  Form des rechtlichen Gehörs – und durch Art. 103 Abs. 1 GG geschützt. Andererseits kann Litigation-PR des einen Prozessbeteiligten durch ihre Wirkungsmacht aber die Äußerungsmöglichkeiten der anderen Prozessparteien einschränken. Sie ist deshalb wegen Art. 103 Abs. 1 GG nur soweit rechtlich zulässig, solange und soweit sie noch Raum für Äußerungen der anderen Prozessbeteiligten lässt.

Über Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler

Der Autor ist Professor u.a. für Medienrecht in Berlin [2]. Von ihm erschien im Januar im Springer Verlag Berlin/Heidelberg: BilderRecht. Die Macht der Bilder und die Ohnmacht des Rechts – wie die Dominanz der Bilder im Alltag das Recht verändert [4].