Dr. Tilmann Kießling (Sanofi-Aventis): Die Wahrnehmung schlägt die Fakten. Fünf Thesen zu Litigations Communications
22. Dezember 2009 | Autor: Gastblogger | 1 Kommentar Artikel drucken
Wir freuen uns – kurz vor Weihnachten – , Dr. Tilmann Kießling, Kommunikationsmanager Media Relations bei Sanofi-Aventis, als Gastautor begrüßen zu dürfen. Sein Beitrag beruht auf einem Vortrag, den Dr. Kießling auf dem 1. Deutschen Litigation-PR-Tag gehalten hat.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Juristen und Journalisten wenig gemeinsam haben. Ihre Ausbildung, ihre Arbeitsweisen, ihre Prägung sind denkbar unterschiedlich. Eins eint sie aber. Wenig andere Berufsgruppen beziehen sich in ihrem professionellen Verständnis so stark auf ihre Unabhängigkeit und auf die besondere Urteilskraft bei der Ausübung ihrer Tätigkeit.
Trotz der Betonung ihrer besonderen Urteilskraft kommen Juristen und Journalisten häufig zu unterschiedlichen Schlüssen, wenn es um die Beurteilung von juristischen Streitfällen geht. Beispiele dafür lassen sich den Medien entnehmen, wenn etwa die juristische Bewertung durch Urteile und die kommentierende Berichterstattung in den Medien in ihren Kernaussagen weit auseinanderklaffen.
Jetzt kommen zu allem Überfluss PR-Fachleute und wollen dieses angespannte Terrain betreten. Sie postulieren, dass die Berichterstattung der Medien bei Gerichtsverfahren stärker berücksichtigt werden müsse. Die ganz Dreisten sagen sogar, die Beklagten bei Strafprozessen oder die Streitparteien bei Zivilstreitigkeiten sollten sich über die juristischen Strategien hinaus PR-Strategien bedienen, um sich nicht nur vor Gericht, sondern auch bei der Meinungsbildung in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Wie soll das gehen, und wo bitte schön soll das hinführen?
Mit fünf Thesen aus der Perspektive eines Kommunikators in einem großen Wirtschaftsunternehmen möchte ich umreißen, wohin die Reise sehr wahrscheinlich gehen wird. Es geht darum darzulegen, warum Litigation Communications schon jetzt eine wichtige Disziplin ist, und warum alle Zeichen darauf stehen, dass sie im Lauf der nächsten Jahre für Wirtschaftsunternehmen noch wichtiger werden wird – bei allen Fallstricken, die dieser Ansatz in sich birgt. Es geht bei den Thesen um den wirtschaftlich-strategischen Beitrag, den Litigation Communications zu leisten im Stande sein kann.
These 1: Der Hunger der Medien nach Themen wird größer – Litigation Communications wird deshalb zwangsläufig für Unternehmen an Bedeutung gewinnen.
Zwischen den deutschen Medien tobt ein regelrechter Kampf um Leser, Zuschauer, Zuhörer, um Anzeigenkunden und Unternehmen, die Zeit für Werbespots bei den Fernseh- oder Radiosendern kaufen. Die Auflagenzahlen auch renommierter Zeitungen und Magazin sind gefallen, und dieser Trend scheint ein unumkehrbarer zu sein. Die Konsumenten der Medien greifen zunehmend auf kostenlose Nachrichten im Internet zu, was die Preisstrukturen in der Medienbranche weiter unter Druck setzt.
Die Medienhäuser haben den Wettbewerb befeuert, indem sie zahlreiche neue Titel und Formate auf den Markt geworfen haben, die sich häufig gegenseitig kannibalisieren. Viele Medienhäuser und Verlage experimentieren auf dem Feld der Internetformate − teils erfolgreich, teils erfolglos, was die Reichweiten angeht; nahezu branchenweit erfolglos, was den wirtschaftlichen Erfolg angeht. Die meisten Versuche bleiben Zuschussgeschäfte, die von ihren Mutterhäuser unterhalten werden, weil man hofft, dass diese „Beiboote“ den „Mutterschiffen“ etwas Wind in die schlaffen Segel hauchen.
Die Medien reagieren auf die Situation unter anderem, indem sie ihre Suche nach neuen Themen für ihre Berichterstattung forcieren. Juristische Auseinandersetzungen etwa bei realen oder vermeintlichen Unternehmensskandalen entsprechen allen Kriterien eines guten Themas journalistischer Berichterstattung: Sie bieten viel Raum für investigativen Journalismus, ein Täter-Opfer-Muster, sie ermöglichen es anhand der beklagten Personen − oft Vorstände oder andere Topmanager − die Berichterstattung zu personalisieren und zu kontextualisieren, indem sie gesellschaftliche oder ethische Streitpunkte journalistisch aufgreifen.
Für Unternehmen bitter, für Juristen schlichtweg unbegreiflich: Die Meinungsbildung und damit die Vorverurteilung in den Medien eilt der juristischen Entscheidungsfindung zuweilen voraus. Gleichsetzung der bloßen Anklage mit dem Schuldbeweis ist häufig die beklagenswerte Realität, mit der sich Unternehmenssprecher auseinandersetzen müssen.
Globales Agieren von Unternehmen, zunehmend komplexere Produkte und eine durch Medien und das Internet aufgeklärte, immer kritischere, immer sprachfähigere Öffentlichkeit in nahezu allen, noch so kleinen Teilbereichen des öffentlichen Lebens erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass sich Unternehmen ungewollt juristischen Anfechtungen werden stellen müssen. Das soll nicht bedeuten, dass die Globalisierung Unternehmen zwangsläufig auf Kollisionskurs zum Gesetz schickt. Der entscheidende Punkt ist, dass mit zunehmender Komplexität globalen wirtschaftlichen Handelns seine Angreifbarkeit immer höher wird.
Der Ruf einer breiten Öffentlichkeit wie auch der Medien nach mehr Transparenz bei juristischen Streitigkeiten wird dringlicher. Die Fernsehkamera im Gerichtssaal ist in Deutschland zwar weiterhin undenkbar. Die zunehmende Breite, in der sich Medien Wirtschaftsprozessen widmen, lässt aber ahnen, wohin der Trend geht. Die Erkenntnis perception beats reality − die Wahrnehmung schlägt die Fakten − ist Dreh- und Angelpunkt der Litigation Communications. Sie beginnt mit der Beobachtung, dass Juristen und Medien häufig zu unterschiedlichen Beurteilungen ein und desselben Sachverhalts kommen − die Juristen mit dem Ziel der Herstellung von Gerechtigkeit, die Journalisten mit dem Ziel der Wahrheitsfindung. Sollten Gerechtigkeit und Wahrheit nicht deckungsgleich sein? Perception beats reality.
Litigation Communications wird sich im Kern darum drehen, multiperspektivische Strategien in Krisensituationen und bei Rechtsstreitigkeiten zu erarbeiten. Das heißt: Strategien, die sowohl der Unternehmensstrategie, den Bedürfnissen und Regularien der juristischen Auseinandersetzung als auch der Medienlogik gehorchen. Ein überaus komplexes Vorhaben.
These 2: Litigation Communications als prozessbegleitende PR zu verstehen, kann einem Unternehmenslenker nicht genügen – Litigation Communications muss in die Unternehmensstrategie eingebettet sein.
In der in Deutschland zaghaft entstehenden Literatur, die das meist als Litigation-PR bezeichnete Feld beschreibt, finden sich überwiegend Definitionen, die aus angelsächsischen Quellen übernommen sind. Im wohl bekanntesten Buch zum Thema, „In the Court of Public Opinion“ von James Haggerty, liest man, Litigation Communications bedeute das Steuern von Kommunikationsprozessen während juristischer Auseinandersetzungen oder eines gerichtlichen Verfahrens mit dem Ziel, dessen „Ergebnis zu beeinflussen oder die Auswirkungen auf die Reputation des Klienten abzupuffern“.
Andere Definitionen amerikanischer Autoren sagen im Kern dasselbe, heben aber zusätzlich den Versuch der Beeinflussung durch flankierende Medienarbeit hervor: „Das erste Ziel ist es, den Ausgang des Gerichtsverfahrens zu beeinflussen, vielleicht auch um zu einem außergerichtlichen und vorteilhaften Vergleich zu kommen, oder um die Staatsanwaltschaft unter Druck zu setzen, damit sie ihre Klagepunkte abschwächt.“ Oder: „Das Ziel der Litigation-PR ist es, die anwaltliche Strategie und die dahinter liegenden Annahmen des Falles zu verstärken, um einen Sieg sicherzustellen und um den Schaden an Glaubwürdigkeit und Reputation des Unternehmens zu minimieren.“
Zwei Aspekte dieser angelsächsischen Definitionen sollen hier herausgegriffen und kurz kommentiert werden: zum ersten die Aussage, Litigation Communications müsse zum Ziel haben, die Gegenseite bei Verfahren mittels der Medien unter Druck zu setzen und damit den Ausgang eines Verfahrens zu beeinflussen; und zum zweiten die Aussage, Litigation Communications habe die Zielsetzung, Schrammen an der Reputation des Klienten zu vermeiden, wenn dieser während juristischer Auseinandersetzungen ins Blickfeld der Medien gerät.
Den ersten Aspekt in diesen Definitionen halte ich für schlichtweg falsch, weil schwer möglich und riskant, den zweiten halte ich dagegen für zu kurz gesprungen. Zur Beeinflussung des Ausgangs von Verfahren durch aktive und gezielte Medienarbeit während juristischer Auseinandersetzungen: Die Verfechter dieser Ansicht stützen sich darauf, dass selbst hochrangige Richter und Staatsanwälte nicht vom Druck gegen sie anschreibender Zeitungen unbeeinflusst bleiben. Eine aktuelle Online-Studie der Kommunikationsforscher Kepplinger und Zerback kommt zum Ergebnis, dass erhöhte Medienberichterstattung zwar keinen Einfluss auf die letztendliche gerichtliche Entscheidung hat. Kepplinger und Zerback fanden jedoch einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Strafmaß und medialer Berichterstattung sowie eine Emotionalisierung der juristischen Protagonisten, wenn in den Medien über den eigenen Prozess berichtet wurde.
Die Verfechter dieser Ansicht versteifen sich auch darauf, dass geschickt lancierte Meldungen zu singulären Ereignissen führen können, die eine Wende in Strafprozessen herbeiführen können, etwa durch neue, bislang unbekannte Beweisstücke, die aufgrund von erhöhter Medienberichterstattung der Anklage zugespielt werden. Oder indem sich eine Staatsanwaltschaft medialem Druck beugt und doch zu einer Durchsuchung entschließt, die zum Ziel haben soll, neue Indizien ans Tageslicht zu befördern.
Diese Argumentation scheint nur auf einen ersten Blick plausibel, bei einem zweiten Blick darauf wird schnell klar, dass der Aufbau von Druck via Medienarbeit auf die juristischen Protagonisten nicht die primäre Zielsetzung von Litigation Communications sein kann. Drei einfache Gründe seien hierfür angeführt.
Zum ersten: Die Medien in Deutschland lassen sich nicht planmäßig steuern. Zu unabhängig sind die maßgeblichen Medienformate, Redaktionen und Journalisten, zu heterogen ist die deutsche Medienlandschaft, als dass dieses komplexe System systematisch und mit vorhersagbarer Konsequenz zu beeinflussen wäre. Primäre Nachrichten werden oft und schwer vorhersehbar weniger wichtig als deren sekundäre und tertiäre Implikation, die dann zu den eigentlichen Nachrichten und Themen für Kommentatoren werden. Auf der Metaebene in der journalistischen Berichterstattung finden sich immer häufiger, so zumindest mein Eindruck, ethische Aspekte als zentrale Fragestellungen, denen die Journalisten nachgehen. Diese Entwicklungen zuverlässig vorauszusagen, bedarf hellseherischer Fähigkeiten.
Zum zweiten: Versuche, dies dennoch zu tun, sind riskant, besonders wenn die Medien im Unklaren gelassen werden, wer aktiv ist. Die Intransparenz derartiger Versuche allein schon ist ein Risiko, weil sie im Fall der Enthüllung negative Konsequenzen haben können. Die „Spin-Doktoren“ haben selbst in der Szene einen berüchtigten Ruf, und Unternehmen ist angeraten, bei der Wahl ihrer Kommunikationsberater gewissenhaft zu sein.
Zum dritten: Angenommen, es sollte tatsächlich gelingen, zielgerichtet medialen Druck aufzubauen, so wäre weiterhin völlig unklar, was die Reaktionen der juristischen Personen darauf sein würden. Journalisten mögen es nicht, wenn andere für sie vordenken wollen, sondern sie verlassen sich am liebsten auf sich selbst. Dasselbe gilt für Juristen. Druck, wie auch immer er aufgebaut werden sollte, führt häufig zu unerwarteten Gegenreaktionen. Allein aus diesem Grund kann er kein strategisches Handlungsfeld sein. Er ist allenfalls eine Taktik zweifelhaften Stils.
Zum zweiten Aspekt der angelsächsischen Definitionen von Litigation Communications, dem Ziel der Vermeidung von Reputationsschäden des Klienten: Dies ist in der Tat ein wichtiges Anliegen der Krisenkommunikation von Unternehmen, aber auch ein Kernstück der Litigation Communications. Kunststücke dürfen von Litigation-PR-Fachleuten nicht erwartet werden. In derartigen Situationen stehen Unternehmen in aller Regel mit dem Rücken an der Wand, und selbst versierte PR-Leute streben eher eine gewisse Schadensbegrenzung an als das unerreichbare Ziel, das Unternehmen strahlend da stehen zu lassen.
Die Kernaufgabe von Litigation-PR für Unternehmen muss es jedoch sein, alle Kommunikationsaktivitäten − auch in Situationen rechtlicher Streitigkeiten − in die Unternehmensstrategie zu stellen. Das bedeutet, dass sie die kommunikativen Maßnahmen in einen umfassenderen Zusammenhang stellen muss als nur in den Dienst der jeweiligen Prozessbegleitung. Juristische Streitigkeiten bedeuten häufig tiefe Einschnitte in den Fortgang des Wirtschaftens von Unternehmen, sie sind aber in den meisten Fällen singuläre Ereignisse. Sie zu meistern, gelingt am nachhaltigsten dann, wenn die Litigation Communications sinnvoll, nachvollziehbar und konsistent in die Unternehmensstrategie integriert ist. Die Kommunikation ist dann ein unternehmerisches Handlungsfeld.
Das bedeutet gleichzeitig, dass die Unternehmensstrategie wiederum von den Ergebnissen der Litigation Communications mit entschieden wird. Dieses Konzept einer integrierten und strategischen Kommunikation ist in der akademischen Literatur längst als Best-practice beschrieben. In der alltäglichen Praxis von vielen Unternehmen ist dieses Konzept aber nicht vollständig umgesetzt, und unterdurchschnittliche Ergebnisse im Krisenfall sind damit vorprogrammiert. Wenn es der Litigation Communications gelingt, sich strategisch einzufügen, wird sie ihre Möglichkeit erst voll entfalten können und als unternehmerisches Handlungsfeld anerkannt und genutzt werden.
These 3: Beim Sprung über den Atlantik stößt die angelsächsische Litigation-PR auf das „alte Europa“ − schon allein die andere Medienlandschaft in Deutschland zwingt Litigation-Communications-Manager umzudenken.
Systematische Litigation-PR hat ihre Ursprünge in den USA der 1990er Jahre und ist weiter in Großbritannien recht ausgebildet. Die Zunahme an Wirtschafts- und Finanzberichterstattung besonders in neuen Medien, wie etwa Bloomberg. Forcierte diese Entwicklung. Populäre Gerichts-Reality-Formate erschlossen sich einen festen Platz im Sendeprogramm und in der Zuschauergunst neben den Sitcoms und den Simpsons. Ein weiterer wesentlicher Grund für den Ausgangspunkt der Litigation-PR in den Vereinigten Staaten liegt im Jurysystem.
Litigation-PR-Kampagnen begleiten in den USA Sammelklagen, und nicht zuletzt geht es dabei darum, durch entsprechende Medienberichte einen möglichst potenten Hauptkläger und möglichst viele Mitkläger anzuziehen, oder möglichst lukrative außergerichtliche Vergleiche zu erzwingen.
Als weitere Gründe dafür, warum Litigation-PR in den USA ihren Anfang nahm, sind anzuführen: die höhere Medienaffinität führender Persönlichkeiten aus der amerikanischen Wirtschaft, aggressivere und schnellere Medien in den USA im Vergleich zu den meisten europäischen Staaten sowie der Unterschied zwischen vielen amerikanischen und deutschen Juristen, was die Bereitschaft zur Vermarktung ihrer Arbeit auch in den Medien angeht.
So sehr der Blick in die USA lohnt, um besser zu verstehen, was Litigation-PR bedeuten kann, so sehr ist zu beachten, dass die angelsächsischen Konzepte keineswegs unbesehen auf den deutschen Raum übertragbar sind. Beim Sprung über den Atlantik stößt die Litigation-PR auf das „alte Europa“. Schon allein die andere Medienlandschaft in Deutschland zwingt Litigation-Communications-Manager umzudenken.
Zwar hat die Medienlandschaft in den beiden letzten Jahrzehnten ebenfalls tiefgreifende Umbrüche erlitten. Besonders markante Punkte waren der Einzug des Privatfernsehens und besonders der Beginn des Siegeszugs des Internets, der viele Medien, besonders Printmedien, vor große Probleme stellt, weil es deren klassische Geschäftsmodelle aushebelt.
Die deutsche Medienlandschaft ist jedoch außerordentlich heterogen. Sie ist insofern überschaubar, als die Leitmedien (immer noch häufiger als Online-Medien oder Blogs!) immer wieder Themen setzen, die dann schnell und flächendeckend von weiteren Medien aufgegriffen werden. Die deutsche Medienlandschaft ist auch im Internetzeitalter insofern klassisch, als die maßgeblichen, meinungsbildenden Medien die Printmedien und das Fernsehen sind. Die deutsche Medienlandschaft ist im internationalen Vergleich immer noch eine vielfältigsten, was etwa die politischen Standpunkte angeht.
Entscheidend ist der kulturelle Unterschied der deutschen Medienlandschaft zur amerikanischen. Nicht nur deutsche Juristen, auch deutsche Journalisten werden dem Einsatz der Litigation Communications sehr viel reservierter gegenüberstehen. Nennen wir es beim Namen: Der Generalverdacht der mangelhaften Kompetenz in Hinblick auf das juristische Know-how und der Generalverdacht der Manipulationsversuche gegenüber Medienvertretern werden immer wieder im Raum stehen. Maßnahmen von Litigation-Communications-Managern bergen deshalb das Risiko, grundsätzlich negativ ausgelegt zu werden, so gut und wahrhaft sie auch sein mögen. PR-Fachleute werden deshalb mehr als die Kollegen aus anderen PR-Disziplinen sachkundig und vorausschauend agieren und die Besonderheiten der deutschen Medien berücksichtigen müssen. Ein bloßer Transfer amerikanischer Konzepte nach Deutschland wird keine Lösung sein.
These 4: Litigation-PR ist nichts anderes als eine Variante integrierter Kommunikation – und damit konzeptionell keine Neuigkeit.
Kommunikation ist zumindest in den innovativen Unternehmen zu einem unverzichtbaren unternehmerischen Handlungsfeld geworden – im Extremfall gleichberechtigt zu Forschung, Produktion, Finanzen, Personal, und Marketing. In den Hierarchien von Konzernen wird dies sichtbar, wenn Chefkommunikatoren Mitglieder der Executive Committees sind oder sogar, wenn auch noch recht selten, Vorstandsfunktionen haben.
Vom Konzept her ist Litigation-PR eine weitere Ausprägung dessen, was in der Theorie in der Praxis der Unternehmenskommunikation mit dem Begriff der integrierten Kommunikation versehen ist: der Managementprozess der umfassenden und vernetzten, zielgerichteten Kommunikation − um es im Jargon der Betriebswirtschaftler zu sagen. Sie umfasst Analyse, Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle der gesamten internen und externen Kommunikation von Unternehmen. In der akademischen Literatur geht man davon aus, dass die Steuerung der integrierten Kommunikation Chefsache sein muss, um zu funktionieren.
Dieser Anspruch ist hoch, aber er stellt keine Hürde dar, die in der Praxis nicht zu meistern wäre. Die integrierte Kommunikation hat zum Ziel, ein konsistentes Erscheinungsbild über das Unternehmen, seines Geschäftsmodells, seiner Strategie, seiner Produkte, seiner Corporate Citizenship zu vermitteln. Damit ist Litigation Communications zwar keine konzeptionelle Neuheit. In der Reihe der heute etablierten Felder wie Marketing-Kommunikation oder Finanzkommunikation ist die jüngste Schwester, die Litigation Communications, die Disziplin, die ihren Nutzen für Unternehmen voll entfalten kann, wenn sie integriert verstanden und betrieben wird. Dies liegt in der Hand der Unternehmen und deren Bereitschaft und Fähigkeit, ihr diese Rolle einzuräumen.
These 5: aus Fehlern der älteren PR-Schwestern lernen: Qualitative und ethische Standards für eine junge PR-Richtung müssen her.
Die Public Relations insgesamt gelten häufig immer noch als schillernde Branche. Obwohl in nahezu allen Industrien beheimatet und geradezu eine eigene Branche für sich in der Dimension eines volkswirtschaftlichen Wirtschaftsfaktors, leidet ihr Ruf noch heute an ihrem Gebaren ihrer frühen Jahre. Spät hat sich die Branche in Deutschland entschlossen, selbst auferlegte Berufskodizes wie den PR-Kodex der Deutschen Gesellschaft für Public Relations einzuführen, oder brancheninterne Sanktionsmechanismen einzuführen, wie sie heute vom Deutschen PR-Rat wahrgenommen werden, wenn er etwa Rügen ausspricht. Die lange überholte, aber in vielen Köpfen verankerte Unterstellung, alle PR-Leute seien „spin doctors“, unterminiert den Wert und die Arbeit vieler guter PR-Leute.
Grund genug für die junge Litigation-PR in Deutschland, sich diesem Generalverdacht von vornherein und durch möglichst klare Branchenstandards zu entziehen. Die Standards sollten sowohl eine qualitative Dimension, aber auch eine ethische Dimension beinhalten. Ein gerütteltes Maß an Transparenz über die Beiträge von Litigation-Communications-Fachleuten bei juristischen Auseinandersetzungen spielt dabei ebenfalls eine Schlüsselrolle. Es wäre zu begrüßen, wenn die Diskussion um solche Standards bald ihren Beginn nehmen würde.
Über Tilmann Kießling
Seit 2004 ist Dr. Tilmann Kießling als Kommunikationsmanager Media Relations für Sanofi-Aventis in Frankfurt tätig. Seine Schwerpunkte liegen dabei in der Wissenschaftskommunikation, der allgemeinen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und der Krisenkommunikation. Vor seinen Zwischenstationen bei Aventis, Roland Berger und freiberuflicher Tätigkeit als Wissenschaftsjournalist, promovierte er 1999 im Fach Chemie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Kommentare
Ein Kommentar zu “Dr. Tilmann Kießling (Sanofi-Aventis): Die Wahrnehmung schlägt die Fakten. Fünf Thesen zu Litigations Communications”
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April 29th, 2010 @ 12:29
Vielen Dank für den interessanten und informativen Artikel! Man kann immer etwas Neues lernen.