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Irrweg des Rechts?

16. Juni 2011 | Autor: Jens Nordlohne | Keine Kommentare Artikel drucken

„Ist hier jemand schuldig gesprochen worden, weil Eltern eines Unfallopfers einen Schuldigen suchen?“ Diese Frage stellt das Neue Stader Wochenblatt in einer Titelstory mit der Überschrift „Gutachter zählt mehr als Zeugen“. Die Geschichte ist ein interessantes Beispiel dafür, die Diskrepanz zwischen öffentlichem Rechtsempfinden und juristischer Urteilsfindung darzustellen.

Der Fall: Im April 2009 kam der 27jährige Marcel K. bei einem Autounfall ums Leben (Wochenblatt: „Horrorcrash mit Mercedes Cabrio bei riskantem Überholmanöver.“) Hinter einem Traktor auf einer Landstraße hatte sich eine Schlange gebildet. Marcel K. überholte die Fahrzeuge in dem Moment als der Traktorfahrer Johann B. mit seinem Gefährt abbog. Der Fahrer rammte dabei den Traktoranhänger und verstarb an den Folgen des Unfalls. (Wochenblatt: „…ein rasanter Fahrer rollte die Schlange mit seinem PS-starken Flitzer auf, der Zusammenstoß war unvermeidlich“)

Das Buxtehuder Amtsgericht sprach nun dem Traktorfahrer eine Mitschuld zu. Ein DEKRA-Sachverständiger kam zu dem Ergebnis, dass der Obstbauer sieben bis acht Sekunden Zeit gehabt hätte, sich umzusehen und den Unfall zu vermeiden. Der Traktorfahrer wurde wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ein klarer Fall, ein eindeutiges Urteil?

Mitnichten – zumindest in den Augen der Lokalpresse und der Öffentlichkeit vor Ort. Johann B. ist ein bekannter und geachteter Obstbauer aus dem Alten Land vor den Toren Hamburgs. Mehrere Zeugen hatten ihn nach Ansicht der Medien entlastet. Wochenblatt: „Obwohl mehrere Zeugen aussagten, der Mercedes sei angebraust und herangeschossen, verurteilte die Buxteuder Amtsrichterin Katharina Niezgoda den Obstbauern B. wegen fahrlässiger Tötung.“ Das Blatt fühlt weniger mit dem getöteten Fahrer als mit dem Verurteilten: „Schmerzlicher wird für den Verurteilten sein, dass er nun damit leben muss, als Mitschuldiger am Tod von Marcel K. angesehen zu werden.“

Dem DEKRA-Experten traut der Berichterstatter wenig zu: „Der Sachverständige Albrecht Hocks hat per Taschenrechner die Zeugenaussagen in Zahlen verwandelt. Sein Fazit: B. hatte Zeit gehabt, das herannahende Cabrio zu erkennen.“

Auf der einen Seite also ein orstbeliebter Obstbauer und Zeugen, die eindrucksvoll und plastisch ein – unbestrittenes – Fehlverhalten des Marcel K. bestätigen. Auf der anderen die Eltern des Todesopfers, die ihr Recht als Nebenkläger wahrnehmen und Johann B. vor Gericht bringen, ein nüchterner Sachverständiger, der anhand von Daten feststellt, dass der Obstbauer Zeit gehabt hätte zu reagieren und eine Richterin, die eben jene Fakten in ihrer Urteilsfindung berücksichtigt.

Und das Fazit des Wochenblatts? „Nicht nur der, der vorsätzlich falsch handelt, trägt Schuld, sondern immer auch der Betroffene solcher Fehler. Ein Irrweg des Rechts?“

Der Autor der Story, Jörg Dammann, legt in seinem Kommentar nach: „Gilt in Prozessen nur das Wort des Gutachters? In dem Verfahren wischen Staatsanwalt und Richterin die Aussagen beiseite, die den Angeklagten entlasten. Sie verlassen sich ohne Prüfung auf die Zahlen, die ein Sachverständiger aus dem Stehgreif berechnet. „Es ist beeidruckend, wenn Justiz und Ingenieurskunst aufeinander treffen“, gerät der Ankläger ins Schwärmen. Für mich ist eher beeindruckend, wie wenig Zeugen zählen, die übereinstimmend von einem riskanten Überholmanöver berichten. Der Obstbauer muss nun sehen, wie er mit dem Schuldspruch zurechtkommt. Helfen wird das Urteil wahrscheinlich den Eltern. Was mag sie bewegt haben, einen Prozess anzustrengen, obwohl die Staatsanwaltschaft das Verfahren bereits eingestellt hatte?“

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