PR-Periskop I: Bärendienst für Nadja Benaissa
16. April 2009 | Autor: Jens Nordlohne | 8 Kommentare Artikel drucken
Die Anwälte von Frau Nadja Benaissa feiern einen Erfolg. Das Landgericht Berlin hat per einstweiliger Verfügung der BILD-Zeitung untersagt, über das eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen schwerer Körperverletzung und/oder den Gegenstand der Untersuchungshaft im Fall Nadja Benaissa zu berichten.
Ein Erfolg? Ich glaube nicht. Mit diesem Schritt haben die Rechtsberater ihrer Mandantin einen Bärendienst erwiesen. Dass die BILD-Zeitung sich an diese Verfügung halten würde, war wohl von vornherein eher unwahrscheinlich. Junge, hübsche, bankrotte Sängerin sitzt aufgrund dringenden Tatverdachts in Untersuchungshaft, weil sie trotz HIV-Infektion ungeschützten Sex mit mehreren Männern hatte und sich einer ihrer Partner vielleicht bei ihr angesteckt hat? Diese Geschichte lässt sich kein Boulevard/Society-Journalist der Welt verbieten – sei das angedrohte Ordnungsgeld noch so hoch. Im Gegenteil: Jeder juristische Schritt der Benaissa-Anwälte, eine Berichterstattung zu verhindern, wird dankend als Teil der Geschichte verwertet. Die Realität der Medienwelt entspricht nun mal nicht immer juristischen Idealen. Mit einer größeren kommunikativen Fachkompetenz hätte man sofort die Risiken erkennen können:
- Sobald einem Medium gerichtlich eine Berichterstattung verboten wird, setzt ein Solidaritäts-Reflex aller Journalisten ein. Nichts erzürnt Berichterstatter mehr, als einen Maulkorb verpasst zu bekommen. Da werden selbst BILD-Kritiker zu Fürsprechern und nehmen ebenfalls die Story auf.
- Der Versuch, juristisch die Veröffentlichung (nachprüfbarer) Informationen zu verhindern, stachelt den Ehrgeiz der Redaktion an. Es werden alle verfügbaren Ressourcen auf die Geschichte angesetzt.
- Eine Geschichte, die in Kürze ihre Halbwertszeit überschritten hätte, bekommt neue Nahrung: Der Traum eines jeden Journalisten: Die Weiterdrehe über einen neuen Aspekt (in diesem Fall die juristische Auseinandersetzung).
- Wenn eine Geschichte schon dermaßen Fahrt aufgenommen hat, dass ohnehin sämtliche relevante Medien (inkl. Internet) darüber berichten, haue ich nicht auf ein einzelnes Blatt ein – schon gar nicht statuiere ich ein Exempel ausgerechnet an der BILD-Zeitung. Die Wortkombination „Benaissa“ und „Aids“ führt über google search übrigens schon jetzt zu 30.000 Treffern.
Dass der Schuss der Benaissa-Anwälte nach hinten losgegangen ist, beweist ein Blick in die heutige Ausgabe der BILD-Zeitung. Auf drei (!) Seiten, inkl. Titel widmet sich das Blatt der Story. Darüber hinaus nimmt sie die einstweile Verfügung als Aufhänger für einen Dreispalter mit der Überschrift: „Jetzt wird der Fall zum Justiz-Skandal“ Darin kommentiert der Autor die Entscheidung des Landgerichts in Versalien: „WAS FÜR EIN IRRSINN!“
Prominente „Experten“ wie Marc Bator (Tagesschau) Peter Kloeppel (RTL) oder Thomas Leif (Netzwerk Recherche) unterstützen mit ihrer zitierten Empörung die Haltung des Springer-Blattes. Der zuständige Staatsanwalt erklärt unter der Überschrift „Muss Nadja 10 Jahre ins Gefängnis?“ detailliert, warum die Sängerin verhaftet wurde. Darüber hinaus zeigt er sich verwundert, dass Frau Benaissas Anwälte die Verhaftung scharf kritisiert- aber bis heute keinen Antrag auf Haftbeschwerde oder Haftprüfung gestellt haben. Die prominente Aufmachung in der BILD ist eine öffentliche Ohrfeige für die Rechtsvertreter von Frau Benaissa und für das Landgericht Berlin.
Passende Fundstellen im Netz
- Die FAZ bloggt zum Thema über „Das Ende der Pressefreiheit“
- Meedia berichtet ebenso wie Horizont rein über die presserechtliche Auseinandersetzung.
- UPDATE: DerWesten mit einem Plädoyer für Pressefreiheit.
Kommentare
8 Kommentare zu “PR-Periskop I: Bärendienst für Nadja Benaissa”
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April 16th, 2009 @ 13:56
ihre sichtweise ist nachvollziehbar. die heutigen reaktionen im bundesdeutschen medienblätterwald beweisen dies.
mfg dennis
April 16th, 2009 @ 18:48
Als Anwalt für Medienrecht (aber nicht von Frau B.) finde ich es kaum vertretbar, was Herr Nordlohne in seinem Beitrag schreibt. Es ist natürlich völlig richtig, gegen die Veröffentlichungen vorzugehen. Man müsste das Vorgehen sogar noch erheblich ausweiten. Wenn jetzt die komplette Medienlandschaft abgemahnt und mit einstweiligen Verfügungen überzogen wird, ist die Berichterstattung in spätestens einer woche zuende. Dass Journalisten sich nicht an verfügungen halten ist schlicht falsch. Wenn man denen ordentlich auf die Finger haut, geben die auch irgendwann Ruhe. Und dass die Geschichte durch gerichtliche Maßnahmen sogar noch künstlich verlängert wird, spielt auch keine Rolle, denn nur durch ein entschlossenes anwaltliches Draufhauen lässt sich diese Berichterstattung auf lange Sicht endgültig beenden. Und damit ist langfristig das wichtigste Ziel erreicht: Wenn es irgendwann zu einer Entscheidung des Strafgerichts kommt, wird es keine Berichte mehr geben und auch in 5 oder 10 Jahren wird die Geschichte nicht mehr herausgeholt werden, weil es gerichtliche Verbote und Unterlassungserklärungen gibt. In einer schnelllebigen Zeit, in der jeden Tag eine andere Sau durchs mediale Dorf rennt, ist das ein nicht zu unterschätzender Aspekt. Nur wenn Anwälte in Fällen wie diesem ordentlich reingrätschen, ist sichergestellt, dass eine längst vergessene „Sau“ in 1, 2 oder 5 Jahren schon wieder durchs Dorf getrieben wird und der ganze Terror für die Mandantin (und deren Tochter!) wieder von vorne losgeht. Die Schulkameraden der 9-jährigen Tochter bekommen das ganze heute möglicherweise nicht richtig mit. In ein paar Jahren sind sie aber reif genug, um alles zu verstehen, wenn die Geschichte dann wieder aus der Mottenkiste geholt würde. Das muss man als Anwalt verhindern und der Mandantin die Gewissheit verschaffen, dass dieses mediale Gewitter, das sie jetzt ertragen muss, nicht irgendwann wieder von vorne losgeht. Solch eine Dauerbelastung wäre psychisch kaum zu verkraften.
April 17th, 2009 @ 09:31
Sehr geehrter „Robert“, da Sie unter einem Pseudonym schreiben, weiß ich leider nicht, ob Sie tatsächlich (Medien-)Anwalt sind. Ich weiß auch trotz mehrmaligem Lesen Ihres Beitrages nicht, ob Sie ernst meinen, was Sie schreiben. Sollte es sich um eine Persiflage handeln, verzeihen Sie mir, dass ich dennoch versuche, sachlich darauf einzugehen:
1. Sie fordern, dass „die komplette Medienlandschaft abgemahnt und mit einstweiligen Verfügungen überzogen wird“, damit „die Berichterstattung in spätestens einer woche zuende“ ist. Schauen Sie sich bitte heute die BILD-Zeitung an. Auf Seite 13 sagen Ihnen Deutschlands Medien-Macher sehr genau, was sie davon halten. Glauben Sie allen Ernstes, dass sich die „Medienlandschaft“ das gefallen ließe? Würden Publikationen ihre Berichterstattung einstellen? All die Tausende Zeitungen, Magazine, Online-Medien, TV-Sender, Radiostationen, Nachrichtenagenturen? Wohl kaum. Im Gegenteil: eine solche Aktion würde eine Welle von Beiträgen lostreten und Frau Benaissa würde über Wochen weiterhin im Blickpunkt der Medien stehen.
2.Sie vertreten die These: „Wenn man denen (den Journalisten) ordentlich auf die Finger haut, geben die auch irgendwann Ruhe.“
Nun, als langjähriger Redakteur kann ich Ihnen versichern, dass das Gegenteil der Fall ist. Lassen Sie es mich drastisch ausdrücken: Wenn Sie den Diekmanns, Brenders, Strunz und Köppels dieser Welt auf die Finger hauen, wird es als Antwort einen kollektiven tritt in die Nieren Ihres Mandanten geben.
3. Sie sind der Meinung: „…nur durch ein entschlossenes anwaltliches Draufhauen lässt sich diese Berichterstattung auf lange Sicht endgültig beenden.“
Ohne „Draufhauen“ wäre die Geschichte schon längst am Abebben und würde in einer Woche niemanden mehr interessieren. Derzeit geht es in der Berichterstattung zu einem Großteil ausschließlich um das juristische Vorgehen von Frau Benaissas Anwalt.
4. Sie schreiben: „Nur wenn Anwälte in Fällen wie diesem ordentlich reingrätschen, ist sichergestellt, dass eine längst vergessene „Sau“ in 1, 2 oder 5 Jahren schon wieder durchs Dorf getrieben wird und der ganze Terror für die Mandantin (und deren Tochter!) wieder von vorne losgeht.“
Die Geschichte würde m.E. in einigen Jahren ohnehin nicht mehr rausgekramt, weil sie niemanden mehr interessiert. Bis dahin haben wir in der Tat andere Promi-Skandale gesehen. ABER: Da es ein so außergewöhnlicher Vorgang war, die Berichterstattung verbieten zu wollen, gerade AUS DIESEM GRUND wird die Geschichte über Jahre hinaus immer wieder als Beispiel für mangelhaftes anwaltliches Kommunikationsverhalten herhalten müssen – auf Kosten von Frau Benaissa.
April 17th, 2009 @ 12:27
Sehr geehrter Herr Nordlohne,
Journalisten glauben häufig, das Grundgesetz bestehe nur aus einem einzigen Artikel – dem der Pressefreiheit. Das ist ein Irrtum.
Es gibt noch eine weitere Journalistenkrankheit:
Viele neigen dazu, sich, ihre Bedeutung und ihre Macht maßlos zu überschätzen. Es ist vollkommen geichgültig, was Deutschlands Medienmacher von dem Vorgehen gegen die Berichterstattung im Fall B. halten. Journalisten stehen nicht über dem Gesetz. Deshalb muss man sie in ihre Schranken weisen, wenn sie die Rechte anderer nicht respektieren. Und lassen Sie sich versichern: Ich haue insbesondere den Häusern Bauer, Burda und Springer ständig auf die Finger – und zwar erfolgreich und ohne Rücksicht auf mögliche negative Folgeberichterstattung. Wenn es nötig ist, ziehe ich dabei nicht nur die Verlage, sondern auch die Journalisten persönlich vor Gericht. Dort können sie sich nicht mehr hinter ihrem Verlagsschreibtisch verstecken. Journalisten, die zuvor in ihren Artikeln noch eine große Lippe riskiert haben, werden in der mündlichen Verhandlung ganz klein mit Hut, geraten ins Stottern und ins Schwitzen und merken, dass sie eben nicht die „vierte Gewalt“ sind, sondern dass mit Ordnungsgeld- und Ordnungshaftandrohungen nicht zu spaßen ist.
Im aktuellen Fall, in dem Frau B. durch die Medien in übelster Weise vergewaltigt wird, gibt es für sie natürlich nur eine Lösung und zwar entschlossene Gegenwehr. Sie hat doch nichts mehr zu verlieren. Sie kann nur gewinnen, wenn sie sich wehrt. Die Ergebnisse dieser Gegenwehr sieht man übrigens bereits. Seriöse Blätter wie die Süddeutsche verzichten auf die Nennung ihres Namens. Dass das gerichtliche Vorgehen die Geschichte noch eine Weile am Leben erhält, ist zwar richtig. Aber irgendwann ist auch dieses Thema durch. Und zwar spätestens dann, wenn man genügend einstweilige Verfügungen, Unterlassungserklärungen und Ordnungsgeldzahlungen erreicht hat. Spätestens dann ist Ruhe und zwar für immer.
In diesem Zusammenhang interessiert es mich, woher Sie wissen wollen, dass dieses Thema sowieso nie wieder hervorgeholt würde. Wenn Frau B. irgendwann einmal wieder beruflich oder in anderer Weise in Erscheinung tritt, wird diese Geschichte das erste sein, was die Zeitungen herausholen. Und genau das lässt sich verhindern, wenn man gegen Verlag und Journalisten zuvor gerichtliche Titel erwirkt hat.
April 20th, 2009 @ 18:13
Hallo Robert,
Recht haben und richtig liegen sind in diesem Fall zwei verschiedene Paar Schuhe. Was hilft es Ihnen, auf das Recht einer Mandantin zu pochen, wenn es doch nur zu einer verlängerten und verstärkten Schlammschlacht führt. Als Berater/Anwalt ist es Ihre Pflicht, Ihre Mandantin zu schützen. Auch wenn ich persönlich gerne einige Herren regelmäßig vor den Kadi zitieren würde, so zeigt die mediale Praxis doch immer wieder, dass Abtauchen die klügere und langfristig erfolgreichere Strategie ist.
Viele Grüße
Carl
April 20th, 2009 @ 22:19
[…] schauen was die Blogosphäre über Nadja Benaissa zu berichten weiss, den einstigen No Angels Star, der nicht nur Pleite ist, laut einigen Medien Aussagen, sondern auch im Knast […]
April 21st, 2009 @ 21:17
@Carl: Was Sie schreiben steht in krassem Gegensatz zu meinen beruflichen Erfahrungen. Abtauchen bringt in Situationen wie dieser überhaupt nichts, wenn die Sache damit nicht endgültig erledigt ist. Heute stand in der Presse, dass Frau B. weiter in ihrer Band singen wird. Sie hat also ein Interesse daran, dass diese Geschichte irgendwann zu einem Ende kommt. Sie wird aber bis ans Ende ihrer Tage mit dem Thema konfrontiert werden, wenn sie nicht gegen die Berichterstattung vorgeht. Noch einmal: Wer so massiv angegangen wird, wie Frau B., hat nichts mehr zu verlieren. Die „kollektiven Nierentritte“, von denen Herr Nordlohne spricht, bekommt sie bereits jeden Tag von allen Seiten. Es geht darum, diese Nierentritte langfristig zu stoppen! Mit Appeasement-Politik kommt man da nicht weiter. In einer solchen Situation braucht es keinen Chamberlain sondern einen Churchill. Frau B´s Anwalt scheint mir daher eher zu zögerlich zu sein, denn so wie es aussieht, ist er nur gegen die BILD vorgegangen, nicht aber gegen andere Medien. Das ist halbherzig und führt nicht zu einem langfristigen Erfolg.
April 30th, 2009 @ 07:20
@robert. Wer einen „Medienanwalt“ anheuert, der bereit ist, den Mandanten für sein persönliches Rechtsempfinden zu opfern und der offenbar unter einem schlimmen Journalistentrauma kleidet, der sollte sein Geld besser ins nächste Haushaltswarengeschäft tragen, um sich dort einen haltbaren Strick zu kaufen. Ich kann’s nicht glauben, dass Sie das ernst meinen. Wäre Sie bitte so freundlich/mutig, Ihre Identität zu enthüllen?