Wie wirkt Litigation-PR?
28. August 2014 | Autor: Dr. Per Christiansen | Keine Kommentare Artikel drucken
„Litigation-PR“ ist doch nur ein Budenzauber, ein in Mode gekommenes Geschäft mit der Angst betuchter Mandanten. So lautet ein verbreitetes Vorurteil.
Wirkt Litigation-PR überhaupt? Lässt sich mit Maßnahmen der Litigation-PR vor Gericht wirklich etwas für den Mandanten erreichen? Die Wissenschaft ist bislang Belege für die Effektivität von Litigation-PR schuldig. Ideal zur Beweisführung wäre ein Testszenario, in welchem man einen Prozess mit denselben Beteiligten einmal mit und einmal ohne PR-Begleitung durchspielt. Dieses Szenario ist jedoch nicht realisierbar, weil das Vorverständnis der Beteiligten aus der ersten Runde den Verfahrensgang in der zweiten Runde beeinträchtigen würde. Immerhin lassen sich aber einige Wirkmechanismen beschreiben, die eine Effektivität der Litigation-PR plausibel erscheinen lassen:
Drohpotential/Vergleichsbereitschaft
PR-Maßnahmen können Druck auf die Gegenseite ausüben. Der Effekt ist eine Verunsicherung (aus der Fehler resultieren können) und möglicherweise eine erhöhte Bereitschaft, einen Vergleich zu schließen. Die emotionalen Reaktionen auf eine Berichterstattung sind in den Medienwissenschaften weitgehend erforscht.
Prozess-Anwälte kennen die Strategie des „triple pressure point play“ aus Kapitalanlegerstreitigkeiten: Wenn man einen Klagegegner so richtig unter Druck setzen möchte, geht man wie folgt vor: Im ersten Schritt erhöht man die Klagsumme/den Streitwert auf so schwindelerregende Höhen, dass der CEO um seinen Job fürchten muss, wenn er den Prozess verliert. Im zweiten Schritt bringt man den Aktienkurs des Gegners unter Druck. Im dritten Schritt diskreditiert man den Gegner in der Öffentlichkeit. Alle drei „Schmerzpunkte“ befeuern sich dann gegenseitig und der Zeitpunkt für Vergleichsgespräche ist gekommen. Keine schöne und keine ethische Strategie, aber ein Anwendungsfall für einen Wirkmechanismus von Litigation-PR.
Reputationsmanagement
Ähnlich wird man gelten lassen können, dass Litigation-PR die Reputation des Mandanten schützen oder verbessern kann. Reputationsmanagement ist auch außerhalb der juristischen Arenen eine etablierte Standarddisziplin der public relations. Reichweite, die Verhinderung einer Verbreitung von nachteiligen Botschaften, die Übernahme von vorteilhaften Botschaften in den Medien sind Indikatoren für ein erfolgreiches Reputationsmanagement.
Im Detail ist das Reputationsmanagement im Umfeld von Gerichtsverfahren allerdings noch wenig erforscht. Hier böte es sich an, die Begleitkommunikation in vergleichbaren Fallkonstellationen zu untersuchen. Beispielsweise Vergewaltigungsvorwürfe gegen Prominente gehen manchmal vergleichsweise harmlos in den Medien unter, manchmal eskalieren sie bekanntlich zu Medienspektakeln.
Psychisch vermittelte Beeinflussung des Gerichts
Die Gretchenfrage der Litigation-PR ist jedoch, ob man mit Mitteln der PR im Gerichtshof der öffentlichen Meinung zugleich den Verfahrensausgang vor Gericht beeinflussen kann. Mit diesem Anspruch tritt die Litigation-PR amerikanischer Prägung auf. Der Fall Amanda Knox wurde zum Synonym für eine (zunächst) erfolgreiche PR-Strategie vor Gericht.
In Deutschland ist man gegenüber einer mittelbaren Beeinflussung des Gerichts skeptischer, zumal die Gerichtsverfassung kein medial anfälliges Jury-System kennt. Gemeinhin hält man das deutsche Gerichtssystem für immun gegen „außerjuristische“ und sachfremde Einflussnahme. In einer Befragung von Prozessbeteiligten an Strafverfahren schätzten sich 25% der Strafrichter und 37% der Staatsanwälte sich selbst so ein, dass Medienberichterstattung einen Einfluss auf die Höhe der Strafe habe (Kepplinger 2010: 164). Diese Zahlen sollte man so lesen, dass ein Teil der Beteiligten selbstkritisch reflektiert und eine Beeinflussung für möglich hält, die ganz überwiegende Zahl von Befragten der Litigation-PR hingegen keinerlei Effekt zumisst.
Mir scheint hier Vorsicht geboten. Wir unterstellen in unserem Gerichtssystem gern, der Richter/die Richterin seien vollständig rationale Subsumtionsautomaten, die die Vorgänge im Gerichtssaal neutral aufnehmen und rational und nachvollziehbar mental zu einer methodisch einwandfreien juristischen Lösung verarbeiten. Auf emotionale und psychische Zustände des Gerichts nimmt die Prozessordnung allenfalls im Rahmen der Befangenheitsregeln Rücksicht.
Indessen gibt es kein Gehirn, das so funktioniert. Die Gehirnforschung zeigt, dass es sich im Grunde genau anders herum verhält. Bevor ein Gedanke im Bewusstsein wahrnehmbar wird, wurde er durch zahlreiche unterbewusste und emotionale Prozesse geformt, entwickelt und gerechtfertigt. Die Eigenwahrnehmung der rationalen Entwicklung eines Gedankens frei von psychologischen Parametern ist eine Illusion. Die Psychologie kennt zahlreiche Effekte, die zwar nicht in einer Verfahrensumgebung, wohl aber in anderen Testszenarien bewiesen wurden, und die unmittelbar im Zusammenhang mit Litigation-PR zur Anwendung kommen können. Hierzu gehört zum Beispiel der bekannte Truth-Effekt: Je häufiger wir eine Aussage gehört haben, desto höher schätzen wir den Wahrheitsgehalt dieser Aussage ein. Je öfter man hört, der Angeklagte sei unschuldig, desto mehr ist das Gehirn des Richters in der Versuchung, dies auch zu glauben. Das Gruselige dabei ist: Die Psychologie konnte nachweisen, dass dieser Effekt auch dann funktioniert, wenn man sich gar nicht der Tatsache bewusst ist, dass man eine Aussage bereits mehrmals gehört (oder gelesen) hat. Ähnlich ließ sich nachweisen: Je leichter Informationen aufgenommen werden können (Lesbarkeit, Struktur, Sprache, Fokus usw.), desto eher tendiert das Gehirn dazu, die Aussage für wahr/sympathisch zu halten, sog. „perceptual fluency“. Die verständliche Aufbereitung komplexer juristischer Fragen hat danach eine eindeutige Funktion. Weiter lässt sich denken, dass Gruppenzwang, der sog. Dr.-Fox-Effekt und der Halo-Effekt eine Rolle spielen können.
Keiner dieser Effekte garantiert ein Obsiegen vor Gericht. Wahrscheinlich lassen sich diese Effekte auf der Mikroebene in einzelnen Verfahren nicht oder nur schwerlich nachweisen. Juristische Methode, professionelle Ausbildung und der Instanzenzug sind überdies Abwehrmittel gegen derartige Prädispositionen. Jedoch scheint es mir fahrlässig zu sein, psychologische Effekte der zuständigen Richter künstlich auszuklammern, wenn man sich den letzten Wirkfaktor von Litigation-PR vergegenwärtigt, nämlich:
Vagheit und Ermessensspielräume im Gesetzesrecht
Die Spielräume, die die Gesetze den Juristen bei der Urteilsfindung lassen, sind entgegen landläufiger Meinung nicht gering, sondern groß. Geradezu erschreckend groß. Spielräume gibt es zum einen bei der Bewertung im Tatsächlichen. Ist eine Aussage nun so oder so zu verstehen? Welche Bedeutung kommt diesem Indiz zu? Spielräume gibt es aber auch in der direkten Gesetzesanwendung. Unbestimmte Rechtsbegriffe, sprachliche Unklarheiten, Tatbestandsermessen, Auslegung, juristische Methoden wie Analogie oder teleologische Reduktion, die Orientierung des Rechts am Zweck und das methodische Ziel der Vermeidung von Wertungswidersprüchen – all dies sind Elemente einer juristische Argumentation, die nicht mit mathematischer Genauigkeit verifiziert werden können, sondern eine Wertung durch das Gericht beinhalten. Eben diese Spielräume können ein Einfallstor für die benannten psychologischen Effekte sein, mit denen Litigation-PR arbeiten kann.
Literatur: Kepplinger, Hans Mathias, Die Öffentlichkeit als Richter? Empirische Erkenntnisse zu einer brisanten Frage, in: Die Öffentlichkeit als Richter?, hrsg. Von Volker Boehme-Neßler, Nomos 2010, S. 154 ff.
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