Litigation-PR in der Schweiz: Was würde Dürrenmatt sagen?
15. April 2010 | Autor: Gastblogger | Keine Kommentare | Artikel drucken
Der Litigation-PR-Blog freut sich, einen Gastbeitrag der Schweizer Rechtsanwältin Dr. Rena Zulauf, präsentieren zu dürfen. Frau Zulauf berät nicht nur umfassend im Medienrecht, sondern auch bei der Entwicklung von interdisziplinär angelegten Kommunikationsstrategien in Krisenfällen.
„Man ist froh, wenn zwischen dem Geschriebenen und dem, was man sagte, eine gewisse Ähnlichkeit festzustellen ist (…) Ich bin meistens unglücklich, besonders, wenn ich bei einem Wort genommen werde, das ich nie ausgesprochen habe“, so bereits der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt vor 30 Jahren in einem seiner zahlreichen Interviews. Auseinandersetzungen zwischen Medien und von der Berichterstattung Betroffenen sind regelmässig sowohl inhaltlich als auch mit Bezug auf die mediale Verbreitung von einer Eigendynamik geprägt, der als Betroffener nur schwer zu begegnen ist. So erfuhren beispielsweise die schweizerischen und deutschen Medienkonsumenten unmittelbar nach der Verhaftung des Meteorologen Jörg Kachelmanns, dass der von einer Frau erhobene Vorwurf der Vergewaltigung durch eine rechtsmedizinische Untersuchung „festgestellt“ worden sei. Es folgten – auch in der Schweiz – als Zitate aufbereitete Schlagzeilen der Mannheimer Staatsanwaltschaft wie „Es liegt mehr gegen Kachelmann vor als nur eine Aussage“ oder „Verurteilungswahrscheinlichkeit liegt deutlich höher als 51%“. Solche und andere Botschaften werden von Interessenvertretern und Prozessparteien auch in der Schweiz vermehrt inszeniert und medial platziert. Durch gezielte Indiskretionen wird Druck aufgebaut, um die öffentliche Meinungsbildung in die „richtige Richtung“ zu lenken. Die Unschuldsvermutung bleibt dabei vermehrt blosse Rechtstheorie.
Reputationsmanagement
Für Privatpersonen und Unternehmen kann eine negative Medienberichterstattung verheerende Folgen haben, wie auch der Fall des weltweit aus der Schweiz operierenden Personaldienstleisters Adecco zeigt. Als Adecco 2004 die Verschiebung der Publikation ihres Jahresabschlusses aufgrund von Vorschriften der SWX Swiss Exchange zur sog. Ad-hoc-Publizität (Art. 72 Kotierungsreglement) auf unbestimmte Zeit verschob, fiel die Aktie an einem Tag um 35%, was rund 5 Milliarden Franken entspricht. Die Lehre aus dem Fall: Vertrauen ist ein seltenes Gut. Reputation und Glaubwürdigkeit müssen aufgebaut und über die Jahre hinweg bewirtschaftet werden (sog. Reputationsmanagement).
Skandale als Regulatoren im Gesetzgebungsprozess
Nicht selten initiieren Medienskandale politische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Regulationsprozesse. Die Medien veröffentlichen eine Information, die Empörung auslöst: Ist das Verhalten dieses Bankiers nicht anstössig? Sind die Abgangsentschädigungen für Manager wirklich gerechtfertigt? Sind die Preise in der Schweiz nicht überrissen? Darf ein Botschafter sich so verhalten? In den meisten Fällen lösen solche Nachrichten eine kollektive Entrüstung aus. Die Medien knüpfen bei ihren Enthüllungen an vorhandene (gesetzliche) Normen und Moralvorstellungen an und stellen ihnen davon abweichende Verhaltensweisen gegenüber. Die Grenzbereiche zwischen Moral, Recht, Politik sowie gesellschaftlichen Konventionen werden neu vermessen. Mitunter münden solche mediatisierten Prozesse in den Erlass neuer gesetzlicher Vorschriften.
Kollision verschiedener Wertsysteme
Reputationsmanagement beginnt damit, dass man die Funktionsmechanismen der Medien kennt und versteht. Den Medien kommt eine unter demokratischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gesichtspunkten bedeutende Funktion in der sozialen Kommunikation zu (Meinungsbildungs- und Informationsfunktion), weshalb ihnen in der Rechtswissenschaft die Erfüllung einer „öffentlichen“ oder doch zumindest „besonderen Aufgabe“ zugesprochen wird (Kontroll- und Kritikfunktion). Die Medienwirklichkeit zeigt jedoch, dass in vielen Medienskandalen nicht selten zwei Wertsysteme miteinander kollidieren. So trifft gerade im Wirtschaftsbereich oftmals das liberale System der Marktwirtschaft auf ein gesellschaftliches Wertsystem, das von ethischem Normdenken geprägt ist. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer beklagen denn auch regelmässig, dass ihnen – gerade in der personifizierten Berichterstattung – nach und nach das Agenda Setting von den Medien oder deren Informanten aus der Hand genommen wird.
Court of Law vs. Court of Public Opinion
Erschwerend kommt in medial ausgetragenen Konflikten dazu, dass diese von vornherein in der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Während die Konfliktaustragung im Gerichtssaal in der Regel nach rationalen Kriterien funktioniert (sog. Court of Justice), wird die Meinungsbildung in der Öffentlichkeit meist aufgrund emotionaler Wahrnehmung gefällt (sog. Court of Public Opinion). Medienerzeugnisse werden vom Publikum zwar in der Regel zur Verbesserung des eigenen Informationsstandes konsultiert, zu einem wesentlichen Teil aber auch zur reinen Unterhaltung und zur Zerstreuung konsumiert. Im Rechtsstreit vor einem Gericht oder einer Schlichtungsbehörde kommt deshalb erschwerend hinzu, dass sich die Akteure nicht nur im Court of Justice erfolgreich zu positionieren haben, sondern auch im Court of Public Opinion.
„All the news that’s fit to print!“ (New York Times)
Die Medien sind in erster Linie der Öffentlichkeit und der transparenten Kommunikation verpflichtet. So besagt bereits die Präambel des Journalistenkodexes des Schweizer Presserates, dass die Verantwortung der Journalistinnen und Journalisten gegenüber der Öffentlichkeit Vorrang vor jeder anderen Verantwortlichkeit hat. Mit Blick auf die Interessen-gesteuerten Informationsplatzierung ist Medienschaffenden gut geraten, allen involvierten Parteien genau zuzuhören und simplifizierende „Gut/Böse“-Inszenierungen bewusst und hartnäckig zu hinterfragen. Nicht von ungefähr heisst es im Schweizerischen Journalistenkodex, dass von Medienberichterstattung Betroffene nicht anders zu behandeln sind, als Journalistinnen und Journalisten selbst an deren Stelle behandelt werden möchten (Richtlinie 7.3. zum Journalistenkodex des Schweizer Presserates).
Betroffene, welche die Kommunikation mit der Öffentlichkeit (gewollt oder ungewollt) suchen bzw. den Meinungsbildungsprozess lenken, haben sich die unterschiedlichen Wertsysteme ständig vor Augen zu halten. Wer dem Wirtschaftssystem und damit dem Wettbewerb verpflichtet ist, hat auch den „Marketplace of Ideas“ in seinen Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen und kann sich nicht ausschliesslich hinter dem Buchstaben der Gesetze verbergen. Im Umgang mit den Medien sind daher Mechanismen des Rechts und der Kommunikation aufeinander abzustimmen. Berufliche Rollenbilder, die häufig tief im Verständnis eines Berufsstandes verwurzelt sind, sind somit zu hinterfragen und allenfalls neu zu definieren. Nur so ist es möglich, Sachlichkeit in einen von Emotionen und Eigendynamik gekennzeichneten Prozess zu bringen.
Über Dr. Rena Zulauf, LL.M.
Dr. Rena Zulauf ist Gründerin der in Zürich ansässigen Kanzlei Zulauf Bürgi Partner. Sie berät und prozessiert in allen Bereichen des Informations-, Kommunikations- und Medienrechts. Dabei vertritt sie einen Beratungsansatz, der strategische Rechts- und Kommunikationsberatung miteinander verzahnt. Frau Dr. Zulauf ist über rena.zulauf@zblaw.ch erreichbar.
In eigener Sache: Die Reputation des Mandanten schützen
9. April 2010 | Autor: Kurzmelder | Keine Kommentare | Artikel drucken
Das PR-Journal widmet sich aktuell dem Thema Reputation und Litigation-PR. In einem kurzen Interview skizziert Jens Nordlohne, was es mit Wahrnehmungsmanagement und Prozess begleitender Kommunikation auf sich hat. Danke für das faire Gespräch und den Link auf unser(en) Blog.
Im Zweifel für die Stimmung
29. März 2010 | Autor: Kurzmelder | Keine Kommentare | Artikel drucken
Hannelore Crolly widmet sich in der Welt dem Thema Recht und Öffentliche Meinung. Sie glaubt, dass es vor allem Staatsanwälte sind, die die Medien bewusst für eine Verbreitung der Ankläger-Meinung nutzen. In ihrem Beitrag „Im Zweifel für die Stimmung“ stellt sie eine provokante These auf:
Negative Publicity und Naturkatastrophen
18. März 2010 | Autor: Kurzmelder | Keine Kommentare | Artikel drucken
In ihren aktuellen „Regulatory Filings“ weist Goldman Sachs als eines der ersten international tätigen Finanzhäuser erstmals auf den Einfluss von schlechter Publicity auf die Ergebniszahlen hin. Die Investmentbank attestiert:
„Schlechte Publicity kann einen negativen Einfluss auf die Reputation unseres Unternehmens sowie auf die Moral und die Leistung unserer Mitarbeiter haben. Das wiederum hat einen negativen Einfluss auf unsere Geschäftsergebnisse.“
Goldman Sachs listet in dem Dokument an die Behörden „schlechte Publicity“ als einen von „zwölf Risiko-Faktoren“ auf, die die finanziellen Ergebnisse der Firma negativ beeinflussen können – gleichberechtigt mit Naturkatastrophen, politischer Instabilität und schwächelnden internationalen Finanzmärkten.
Seminar to go: Uwe Wolffs „Medienarbeit für Rechtsanwälte“
23. Februar 2010 | Autor: Gastblogger | Keine Kommentare | Artikel drucken
Hendrik Wieduwilt, Jurist und Journalist (u.a. Frankfurter Allgemeine Zeitung), rezensiert für den Litigation-PR-Blog die Neuerscheinung „Medienarbeit für Rechtsanwälte“:
„PR“ ist ein Begriff, dem Journalisten und Anwälte in der Regel abschätzig begegnen. Journalisten, weil sie sich täglich gegen die vermeintliche Vereinnahmung durch die andere Seite wehren müssen, Anwälte, weil sie oft davon überzeugt sind, dass sich ihr Ruhm allein durch Plädoyers und präzise gearbeitete Traktate, nicht aber ausgerechnet durch Schreiberlinge vergrößere. Diese will Uwe Wolff mit seinem Buch „Medienarbeit für Rechtsanwälte“ nun in die Realität des Rechtsberatungsmarktes zurückholen.
„Communicate or die!“ lautet daher eines der Kapitel in „Handbuch für effektive Kanzlei-PR“ – es ist, anders als manch ein „Handbuch“ in der Juristerei, mit 182 Seiten tatsächlich handlich. In flotten Texten, Interviews und Checklisten fast der frühere Focus-Journalist zusammen, was bislang Seminarteilnehmern vorbehalten blieb.
Neben den schon aus dem vorigen Litigation-PR-Werk „Im Namen der Öffentlichkeit“ (mit Stephan Holzinger) bekannten Studien über das Verhältnis von Journalisten und Anwälten und deren bald gegenläufigen, bald gleichlaufenden Interessen führt Wolff in aller Behutsamkeit in den Medienalltag: Was ist eigentlich eine „Nachricht“ und wie mache ich meinen Fall zu einer? Was ist der Unterschied zwischen „brisant“ und „exklusiv“? Seine Tipps zielen mal auf den an Hybris krankenden „Staranwalt“, der gegenüber Journalisten tatsächlich auf diese Bezeichnung besteht, mal sind sie sehr grundsätzlich – so erinnert der Autor verdienstvoll an die bisweilen als Selbstverständlichkeit überschätzte Regel, dass man als Anwalt den Journalisten zeitnah zurückrufen sollte.
Eine Erfolgsgeschichte in Sachen Medienarbeit erzählt die Wiesbadener Rechtsanwältin Sibylle Schwarz, die auf zwei Jahre mit immerhin 80 Beiträgen zurückschaut, in denen Kollege oder Kanzlei genannt werden. Sie schließt ihren Bericht mit der verbreitenswerten Bemerkung, dass etwa Journalisten nicht für Richter schreiben und viele Anwälte „furchtbare Angst“ davor haben, dass die Redakteure etwas schreiben, was die Robenträger nicht gesagt haben wollen und später ihr Mandat schädigen könnte. Wolff bietet indes auch für den Fall des Falschzitats eine abgestufte Antwort – die allerdings nicht bei der einstweiligen Verfügung beginnt. Sogar ein bloggender Anwalt kommt zu Wort – auch wenn der befragte Carsten Hoenig einräumt, „für die Mandantengewinnung“ gebe es „bessere Möglichkeiten“.
Den Tiefpunkt des Buchs markiert in mancher Hinsicht ein Beitrag von Wolffs Kollegin Hella Dubrowsky: Das Studium verlange die „Erhabenheit einer antiquierten Sprache“ analysiert sie dort, kurze Sätze verböten sich dem Juristen und dieser sei darob „in extremen Fällen“ womöglich nicht einmal in der Lage einen Döner zu bestellen. Der Journalist wiederum nähme es „oft mit der Rechtschreibung nicht sehr genau“ – schon sei folglich ein „Keil“ zwischen den beiden. Dubrowskys finaler Ratschlag, die vermeintliche Befremdlichkeit dadurch zu überbrücken, dass „ein Jurist mit einem Journalisten einfach mal einen heben geht“ ist die Art von plumper Anbiederei, vor der Wolff fünf Seiten zuvor richtigerweise warnt.
Auch Wolffs Seminarleitertonfall wird nicht jedem durchweg behagen. Sein Rat an immerhin ziemlich erwachsene Anwälte, sie mögen sich ins „soziale Netzwerk Ihrer Stadt“ begeben und statt einem „Juristen-Porno“ wie NJW oder Juve auch einmal die Zeitung sowie fachfremde Bücher lesen, dürfte schlichtere Advokaten zu spät und die gebildeteren ohne Not erreichen. Niemanden sollte zudem überraschen, dass Wolff, hauptberuflich Leiter von NAIMA Strategic Legal Services, im Kapitel „Wenn alles zuviel wird“ dezent zur Inanspruchnahme professioneller Hilfe rät.
Das Buch gewährt dennoch einen leichten, schnellen Einblick in eine andere Welt. Wer also gelegentlich kopfschüttelnd zur Kenntnis nimmt, wie der Partner einer internationalen Top-Kanzlei schon wieder in einem überregionalen Wirtschaftsblatt rauf- und runterzitiert wird oder die Lokalpresse jenen Einzelkämpfer wegen seiner Anlegerverfahren feiert, sollte einen Blick riskieren.
Wolff, Uwe: Medienarbeit für Rechtsanwälte. Ein Handbuch für effektive Kanzlei-PR, Wiesbaden 2010, 182 Seiten.
Autor der Rezension ist Hendrik Wieduwilt, Jurist und Journalist (u.a. Frankfurter Allgemeine Zeitung) aus Kiel. Schwerpunktmäßig befasst er sich mit medien- und internetrechtlichen Themen – und der Litigation-PR.
Fünf Fragen an Lutz Wilde, Redakteur „Recht & Leben“ der Zeitschrift Finanztest
9. Februar 2010 | Autor: Gastblogger | Keine Kommentare | Artikel drucken
1. Frage: Wie erreicht ein Anwalt am ehesten eine positive (Medien-)Aufmerksamkeit für seinen Mandanten?
Indem er den Medien einen Fall anbietet, der einerseits spannend ist und andererseits ein Rechtsproblem behandelt, dass möglichst viele Menschen betreffen könnte. Wichtig ist zudem, dass die Mandanten selbst öffentlichkeitsfreudig sind. Viele Medien berichten nur, wenn in der Geschichte auch die Betroffenen „stattfinden“.
2. Frage: Was sollte er auf keinen Fall versuchen?
Der Anwalt sollte es vermeiden, durch vielfaches Nachfragen in der Redaktion eine Veröffentlichung zu „erzwingen“. Wenn die erste Presseaussendung Hand und Fuß hatte, kommt die Geschichte von allein. Wenn ständig das Telefon klingelt, macht der Redakteur am Ende genervt – gar nichts.
3. Frage: Wer kommuniziert besser: Rechtsanwalt oder Staatsanwalt?
Es sind in der Regel die Rechtsanwälte, mit denen der Dialog (auch „unter 3“) leichter fällt. Allerdings habe ich auch schon mit Staatsanwälten gesprochen, dieeine Berichterstattung sehr engagiert befördert haben. Ich glaube aber, dass hier noch mehr möglich ist.
4. Frage: Lassen sich Richter von einer Medienberichterstattung in ihrer Entscheidungsfindung beeinflussen?
Das ist eine Frage, die Richter sicherlich am besten beantworten können. Ich vermute, dass Berichterstattung insoweit beeinflusst, als dass sie den Richter in jeder Hinsicht sensibler macht. Dass die Berichterstattung einen ganz bestimmten Prozessausgang „herbeischreibt“, wird wohl selten geschehen. Hier wissen ausgewiesene Gerichtsreporter sicher mehr.
5. Frage: In welchem konkreten Fall hätten Sie dazu geraten, Litigation-PR-Experten einzusetzen?
Im Interesse jener Mandanten in einem Strafverfahren, die durch unzulängliche Berichterstattung mit Vorverurteilung zu kämpfen haben, ist Litigation-PR sicher immer wieder mal ratsam. Konkret fällt mir nur der Fall „Marco“ ein – wobei ich glaube, dass hier tatsächlich auch Kommunikationsprofis am Werk waren.
Über Lutz Wilde
Lutz Wilde ist 41 Jahre alt und Redakteur im Ressort „Recht & Leben“ der Zeitschrift Finanztest. Zuvor hat er viele Jahre vor allem für den ARD-Hörfunk sowie Deutschlandfunk und DeutschlandRadio gearbeitet.
Weitere Antworten
Lesen Sie weitere Antworten auf diese Fragen von Journalisten, Autoren und Medienmachern in unserer Kategorie: „5 Fragen an…“
Happy Birthday, Litigation-PR-Blog!
5. Februar 2010 | Autor: Kurzmelder | 3 Kommentare | Artikel drucken
Der Litigation-PR-Blog feiert Geburtstag: Vor einem Jahr, am 05. Februar 2009, ging der erste Blog-Beitrag online. Es handelte sich um einen Kurzmelder zur Warnung von Klaus Tolksdorf, Präsident des Bundesgerichtshofs, über Medien auf die richterliche Entscheidungsfindung Druck ausüben zu wollen. Am 11. Februar 2009 folgte dann ein Zwiegespräch zwischen dem Rechtsanwalt Dr. Tobias Gostomzyk und dem Kommunikationsberater Jens Nordlohne. Darin hieß es zur Litigation-PR unter anderem:
„Wo beide Welten (Anm.: also die Welt des Rechts und die Welt der Medien) sich berühren, braucht es doppelten Sachverstand. Schließlich sind Handlungsweisen vor Gericht und in der (Medien-)Öffentlichkeit nicht getrennt voneinander zu sehen. Wer meint, es ginge doch, ist auf einem Auge blind.“
Dass diese Grundeinsicht vielfach nicht beherzigt wird, haben die letzten 365 Tage vielfach unter Beweis gestellt. Es sei nur an die Fälle „Nadja Benaissa“, „Barbara Emme“ und „Klaus Zumwinkel“ erinnert. Es besteht also Anlass genug, sich weiterhin mit den Grundlagen dieser noch jungen Kommunikationsdisziplin auseinanderzusetzen: in Case Studies, der Vorstellung einschlägiger juristischer und kommunikationswissenschaftlicher Artikel und Bücher, in Kurzinterviews mit Experten oder der Darstellung von Auslandsperspektiven.
Wir möchten den Geburtstag des Blogs dazu nutzen, den zahlreichen Gastautoren und Interview-Partnern des Blogs zu danken: Ohne sie wäre der Blog entschieden eintöniger! Deshalb würden wir uns freuen, wenn sich die begonnen zahlreichen Kooperationen – zu Journalisten, Rechtsanwälten und Wissenschaftlern – auch 2010 weiterführen ließen. Außerdem kommt es beim Bloggen selbstverständlich wesentlich auf die Leser an. Für sie sind wir im Internet präsent. Wenn Sie sich als Leser also zum ersten Geburtstag des Blogs etwas wünschen wollen, Sie Themenwünsche für die nächsten 365 Tage haben, würden wir uns über eine Nachricht freuen: info@litigation-pr-blog.de
Markenrecht: Wo kommen denn die Pfeile her?
28. Januar 2010 | Autor: Kurzmelder | Keine Kommentare | Artikel drucken
Abmahnungen können nicht nur für Betroffene ärgerlich, sondern manchmal auch unterhaltsam sein. Das Jahr ist zwar noch jung, doch schon jetzt hat Spiegel Online die lustigste Abmahnung des Jahres gekürt.
Wenn der Wolf heult. Litigation-PR für Juristen – Gedanken eines Kommunikationsberaters (Teil II)
26. Januar 2010 | Autor: Jens Nordlohne | Keine Kommentare | Artikel drucken
Ein wahres Image-Fiasko erlebte vor wenigen Wochen der Outdoor-Ausrüster Jack Wolfskin. Der sah seine Markenrechte verletzt, als auf der Online-Plattform Dawanda strickbegeisterte Damen eigene, mit einer Pfoten-Applikation versehene Designs zum Kauf anboten. Sowohl Dawanda als auch die Anbieterinnen erhielten eine Abmahnung inkl. Kostennote in Höhe von 991,00 Euro. Kurz nach Bekanntwerden der Aktion, fing es in den Foren und auf Blogs an zu gähren. Die allgemeine Wahrnehmung: Eine Marke, die sich Teamgeist, Freiheit und Abenteuer auf die Fahnen schreibt, haut ahnungslosen Hausfrauen eine teure Abmahnung um die Ohren, nur weil sie Strickpullis in Handarbeit mit einem Pfotenabdruck verzieren und zum Kauf anbieten.
In den ersten Tagen reagierte Jack Wolfskin gar nicht auf die Kritik – und dann falsch: Per trotziger Pressemitteilung teilte man mit:
„(…) Leider ist es notwendig, auch verhältnismäßig kleine Anbieter mit einer Abmahnung und entsprechender Kostenerstattung zu kontaktieren.“ „(…) Es handelt sich hier jedoch um eindeutige Markenrechtsverletzungen, auf die Jack Wolfskin zum Schutz der Marke leider mit Abmahnungen reagieren musste.“
Außerdem sei eine Abmahngebühr in dieser Höhe immer noch günstiger für die Strickdamen als ein Prozess.
Screenshots aus Foren, Blogs und Twitter. Im Hintergrund das Social Media Prisma von ethority.
Jetzt ging es in der Bloggerszene erst richtig rund: Vom Boykottaufruf bis zur Ankündigung, bereits gekaufte Jack-Wolfskin-Produkte zurückzugeben reichten die aufgebrachten Wortmeldungen. Noch heute finden sich bei der simplen Google-Suche nach „Jack Wolfskin“ unter den ersten zehn Treffern Negativ-Schlagzeilen. Auch auf wikipedia ist der Kommunikations-Gau für immer verewigt. Erst Tage nach der PR-Katastrophe ruderte das Unternehmen zurück. Mit einer zweiten Pressemitteilung widersprach man der ersten und kündigte jetzt an, auf die Abmahngebühren zu verzichten und zukünftig etwaige Missetäter(Innen) direkt zu kontaktieren.
Was ist bei Jack Wolfskin schiefgelaufen?
- Es scheint keine funktionierende Schnittstelle zwischen den Juristen und der Kommunikationsabteilung des Unternehmens zu geben. Der Kommunikationsverantwortliche hätte sein Veto für die Aktion der Juristen einlegen müssen. Hier tut sich ein strukturelles Defizit auf, das in vielen Unternehmen vorhanden ist. Die Lösung: Vernetzung der PR-Verantwortlichen mit der Rechtsabteilung und eine gegenseitige Sensibilisierung für die Sichtweise der jeweiligen Bereiche.
- Das Unternehmen verfügt offensichtlich nicht über ein effektives Web-Monitoringsystem für Meinungsseiten im Internet. Dieses hätte schon bei den ersten kritischen Wortmeldungen Alarm geschlagen und die Verantwortlichen zum Gegensteuern veranlassen können. (Ein Verständnis für die Dynamik von Blogs, Foren und Microblogs vorausgesetzt). Lösung: Implementierung eines effektiven Web-Monitoringsystems.
- Wenn das Kind offensichtlich schon in den Brunnen gefallen ist, gibt es nur einen Weg, den Schaden halbwegs zu begrenzen: Eingestehen, dass man einen dummen Fehler gemacht hat. (Den das Unternehmen in diesem Fall glaubwürdig auf übereifrige Anwälte hätte schieben können). Wenn plötzlich die Tsunami-Welle auf den Strand donnert, sollte man nicht darauf beharren, dass der Bademeister das Schwimmen im Meer noch nicht verboten hat. Eine Entschuldigung – am besten in Verbindung mit einem großzügigen Warengutschein für die betroffenen „Strickdamen“ – hätte in diesem Stadium der Situation die Schärfe nehmen können. Die Rechtfertigungs-Pressemitteilung hat das Gegenteil bewirkt. Lösung: Empfängerorientiert kommunizieren und dabei die selben Kanäle nutzen wie die Kritiker. Öffentliche Wahrnehmung vor juristisch Machbarem priorisieren.
Einen Bärendienst haben die Hausjuristen Jack Wolfskins ihrem Unternehmen überdies auch juristisch erwiesen. Rechtsgelehrte diskutieren nun, ob eine Pfote (oder Tatze?) überhaupt markenrechtlich zu schützen ist – und wenn ja, welche? Die eines Bären, Wolfs, Luchs – oder einer Katze? Aber das ist ein anderes Thema.
Bad communications always make everything worse. Litigation-PR für Juristen – Gedanken eines Kommunikationsberaters (Teil I)
18. Januar 2010 | Autor: Jens Nordlohne | Keine Kommentare | Artikel drucken
Noch nie wurde in Deutschland so intensiv über Litigation-PR diskutiert wie im Jahr 2009. Nicht zuletzt durch die Äußerungen von BGH-Präsident Klaus Tolksdorf („Es ist gefährlich, wenn versucht wird, über die Medien Einfluss und Druck auf Richter auszuüben.“), diverser Veröffentlichungen in Fachliteratur und Publikumsmedien sowie dem 1. Deutschen Litigation-PR-Tag ist das Thema auch in juristischen Kreisen präsent und wird dort (durchaus kritisch) diskutiert. Dabei tauchen immer wieder die selben Fragen auf:
- Was ist eigentlich Litigation-PR?
- Was habe ich als Jurist davon?
- Warum sollte Litigation-PR eingesetzt werden?
- Wie profitiert der Mandant?
Litigation-PR ist eine besondere, hoch spezialisierte Form der Kommunikationsarbeit rund um (potentielle) juristische Auseinandersetzungen.
Für Juristen bietet Litigation-PR die Möglichkeit, ihr Portfolio zu erweitern. In zunehmendem Maße fordern Mandanten schon heute vom Rechtsbeistand eine umfassende Betrachtungsweise der Situation. In Zusammenarbeit mit auf Litigation-PR spezialisierten Kommunikationsexperten können Anwälte ihren Mandanten ein komplettes „Paket“ schnüren: Rechtliche Beratung plus Kommunikationsmanagement.
Und warum diese Form der Kommunikation eingesetzt werden sollte, hat der Pionier der Litigation-PR in den USA, James F. Haggerty, auf dem 1. Deutschen Litigation-PR-Tag relativ simpel, aber treffend beantwortet:
„Good communication can not always make everything better, but bad communication always make everything worse!”
Es geht also zunächst einmal darum, zu verhindern, dass eine kritische Situation durch unprofessionelles Wahrnehmungsmanagement der Beteiligten noch verschlimmert wird. Und hier ist es für Rechtsexperten wichtig zu wissen: Realität und Wahrnehmung sind zwei verschiedene paar Schuhe. Ein Beispiel: Fakt ist, dass es aus ökologischer Sicht nahezu unbedenklich gewesen wäre, die Öl-Plattform „Brent Spar“ im Meer zu versenken. Rechtlich unbedenklich war es seinerzeit ohnehin. Aber: Eine gegenteilige Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hat zu brennenden Tankstellen und dem Boykott von Shell-Kraftstoffen geführt hat. Es ist die Wahrnehmung von Realität, die das Handeln bestimmt – und das kann Unternehmen das Leben manchmal sehr schwer machen. Der Hebel der Kommunikation setzt daher folgerichtig auch bei der Wahrnehmung an. Es geht um Akzeptanzbeschaffung für den Mandanten.
Warum ist das „gute Ansehen“ so wichtig?
- Eine positive Reputation ist die Basis für eine erfolgreiche Marktteilnahme – siehe Shell. Wofür entscheidet sich ein Kunde, ein potentieller Mitarbeiter oder Geschäftspartner, wenn Produkt, Leistung, Preis nahezu austauschbar sind? Für das Unternehmen mit dem besseren Ruf!
- Ein guter Ruf ist die Voraussetzung für gesellschaftliche Handlungsfähigkeit einer Person. Es lebt sich zwar gänzlich ungeniert, ist der gute Ruf erst ruiniert – aber wirklich erfolgreich ist letztendlich derjenige, der „gut angesehen“ ist.
Und damit sind wir beim Kern: Über eine positive Wahrnehmung – und damit einhergehend geschäftlichen und gesellschaftlichen Erfolg – entscheidet kein Gericht, sondern die öffentliche Meinung. Wer einen Prozess gewinnt, kann trotzdem seinen guten Ruf verlieren – wer einen Prozess verliert, kann dennoch in der Öffentlichkeit gut dastehen!
Genau hier setzt Litigation-PR an:
- Litigation-PR soll Reputation trotz der Gefahren, die ein Prozess mit sich bringt, schützen und – wenn möglich – ausbauen.
Aber Litigation-PR hat einen weiteren, handfesten Nutzen:
- Litigation-PR kann den Gegner zu einer (günstigen) außergerichtlichen Einigung bewegen
Für Experten auf dem Gebiet der Litigation-PR, gehört es zur Kernaufgabe, dem Gegner mit gebührendem Nachdruck zu verdeutlichen, wie hoch das Image-Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung sein kann. Wer die Regeln der Meinungsbildung kennt, ist klar im Vorteil – wer darüber hinaus das Vertrauen der Meinungsmultiplikatoren besitzt, ist für einen Mandanten von höchstem Wert.
Und wenn wir von Meinungsmachern sprechen, zählen heute die Autoren von Blogs, Microblogs, Foren, und Stakeholder-Websites im Internet mindestens genauso dazu wie Redakteure klassischer Medien. Kommunikationsberater, die noch immer nur in Print- und TV-Dimensionen denken, gehören zu den Menschen, die erst dann merken, dass der Zug abgefahren ist, wenn sie beim Einsteigen auf den Gleisen landen.
Welche Instrumente stehen für die prozessbegleitende Kommunikation zur Verfügung?
Hintergrundbild von oliver hiltbrunner auf flickr
Hier können wir in den Werkzeugkasten klassischer Kommunikationsarbeit greifen. Von Pressemitteilung, Web-Monitoring, Unternehmensblog, Medientraining bis zum vertraulichen Hintergrundgespräch mit Journalisten. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied zur herkömmlichen Produkt- oder Unternehmens-PR: Alle Instrumente müssen exakt auf die jeweiligen juristischen Schritte abgestimmt werden. Nur so erzielen sie größtmögliche Wirkung anstatt sich in die Quere zu kommen. Das heißt zum Beispiel, dass schon vor der ersten mündlichen Verhandlung vertrauliche Hintergrundgespräche organisiert werden. Medientrainings beinhalten speziell das Verhalten in Situationen vor dem Gerichtssaal, nach dem Richterspruch und vor aggressiv-kritischen Journalisten. Die Kernbotschaften für die Öffentlichkeit leiten sich aus den juristischen Statements ab. Sie „übersetzen“ den Sachverhalt für ein breiteres Publikum und verschaffen dem Mandanten Gehör in den Medien.
Einige Beispiele aus der Praxis
Quelle: EnBw
Der frühere EnBW-Chef Utz Claassen musste sich 2007 gegen Korruptionsvorwürfe wehren. Claassen hatte Politiker auf Kosten von EnBW zu WM-Spielen eingeladen. Die Staatsanwaltschaft hatte dieses als strafbare „Klimapflege“ eingestuft. Claassen wurde freigesprochen, tönte jedoch schon während des Prozesses: „Ich war unschuldig, bin unschuldig und werde unschuldig bleiben.“ Nach dem Urteilsspruch rechnete er mit der Staatsanwaltschaft öffentlich ab: „Es ist ein Freispruch allererster Klasse. Die Staatsanwaltschaft ist grandios gescheitert.“ Und die Öffentliche Meinung? Nun, die teilte Claassens Selbsteinschätzung nicht ganz. So schrieb die FAZ von einem „Unbehagen nach Claassens Freispruch“.
Was hätte Claassen tun können, um auch die Öffentlichkeit für sich einzunehmen? Sein Medienberater hätte ihm eine Lösung vorschlagen sollen, die einen Großteil des Image-Risikos schon im Vorfeld (!) ausgeschaltet hätte – unabhängig vom Richterspruch. Seine Kernbotschaft hätte von Anfang an (!) lauten sollen:
„Es geht nicht darum, ob ich persönlich im Recht bin, sondern darum, dass wir Rechtssicherheit für Unternehmen schaffen, die den Sport in Deutschland unterstützen. Insofern ist jedes Urteil ein gutes Urteil.“
Dann hätte er nach dem Urteil in genau diesem Tenor hervorragend seine Position stärken können. Anstatt auf die Staatsanwaltschaft einzuschlagen und sich selbst als stolzen Sieger des Verfahrens zu feiern, hätte er sich „bedanken“ können: „Nicht der Freispruch für mich persönlich ist wichtig, sondern das Urteil an sich. Deutsche Unternehmen haben nun die Gewissheit, auf der sicheren Seite zu sein, wenn sie im Rahmen ihrer Sponsoringmaßnahmen Gäste einladen.“ Das wäre ein überzeugender, sympathischer Claassen gewesen, der stellvertretend für deutsche Unternehmen kämpft, die den Sport fördern wollen…
Seine improvisierte Pressekonferenz, auf der er direkt nach der Urteilsverkündung in einem Nebensatz einwarf, der Richterspruch sei auch ein „großer Sieg für den Sport und das Sponsoring“, war ob der Vorgeschichte wenig glaubwürdig.
Ein weiterer Fall zeigt, dass gute Juristen nicht unbedingt etwas von guter Kommunikation verstehen müssen: Die Causa Nadja Benaissa. In der Nacht zum 12. April 2009 wurde Benaissa in Frankfurt auf Grund eines Haftbefehls wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung festgenommen. Die Künstlerin soll wissentlich Geschlechtspartner mit dem HIV-Virus angesteckt haben; Anfang Juli 2009 wurde der Haftbefehl von der Staatsanwalt Darmstadt gegen Benaissa wieder aufgehoben.
Ob es sich um die Profilierungssucht eines Promi-Anwalts gehandelt hat oder um das hehre Ziel, einen (aussichtslosen) Kampf gegen die Medien zu führen, um auf deren Macht hinzuweisen, bleibt ein Geheimnis. Aber Eines ist dem Anwalt von Frau Benaissa auf jeden Fall vorzuwerfen: Er hat das Ausschöpfen rechtlicher Möglichkeiten höher bewertet als den Reputationsschutz seiner Mandantin. Erst seine öffentlich ausgetragene Schlacht mit Publikationen wie der Bild-Zeitung, aber auch gegen Blogger im Internet, hat die Berichterstattung immer wieder auf neue Art entflammt. Und das zum Nachteil seiner Mandantin. Über die Kommunikationsfehler haben wir an dieser Stelle schon geschrieben. Aber wie hätte man die Situation besser handhaben können?
Antwort: Indem man Frau Benaissa schnellstmöglich selbst Gehör – und damit Mitgefühl der Öffentlichkeit – verschafft hätte. Man stelle sich vor: Da ist eine HIV-infizierte Sängerin, eine Mutter, eine ehemalige Crack-Konsumentin, die sich im Leben alles hart erkämpfen musste und immer wieder Rückschläge erleidet. Und just vor einem Gesangsauftritt, coram publico, lässt die Staatsanwaltschaft sie wie eine Schwerkriminelle abführen und in Untersuchungshaft nehmen.
Mit der Darstellung einer (wahrscheinlich echten) Verzweiflung seiner Mandantin, hätte die Kritik an der Staatsanwaltschaft eine enorme Wucht bekommen. Gleichzeitig wären ihr die Sympathien in der Presse sicher gewesen. Dass dieses Vorgehen funktioniert hätte, beweist Nadia Benaissa selbst: Derzeit geht sie in die Medien-Offensive und ihr Schicksal rührt die Menschen (ob sie eine Straftäterin ist oder nicht, spielt dabei nur noch eine untergeordnete Rolle).
Zu guter Letzt das Beispiel eines missglückten Versuchs von Rechtskommunikation: Der Fall Falk. Millionen-Erbe Alexander Falk soll den Umsatz der Firma Ision Internet AG mit Scheingeschäften aufgepumpt und dann zu einem überhöhten Preis weiterverkauft haben. 22 Monate hatte Falk, einer der Aufsteiger der New Economy, in Untersuchungshaft verbracht.
Kein Geringerer als der ehemalige Bild-Chef und Boulevardjournalist Hans-Hermann Tiedje übernahm die Kommunikationsarbeit für Falk. Und seine Strategie war von Anfang an klar: Mit allen Mitteln Druck auf das Gericht ausüben – auch auf den Vorsitzenden Richter, Nikolaus Berger, persönlich. Eine Schlagzeile nach der anderen prasselte auf das Gericht ein:
„Feiert Falk seinen Geburtstag zu Hause?“, „Wie befangen sind seine Richter?“, „Falk schon bald ein freier Mann?“, „Falk-Prozess – Hat die Hamburger Justiz Fehler gemacht?“ „Freispruch für Falk?“, „Zeuge entlastet Alexander Falk“, „Neues Gutachten – Alexander Falk unschuldig?“, „Muss Hamburg jetzt Schadensersatz zahlen?“, „Ein Freispruch erster Klasse?“
In einem bemerkenswerten Gespräch mit dem Spiegel äußert sich Richter Berger nach dem Prozess über das Vorgehen des Kommunikationsberaters: „(…) Tiedje“, sagt er, ‚ist die Kehrseite der Meinungsfreiheit. (…) einer, bei dem sich in unheilvoller Weise bezahlte Skrupellosigkeit und Boshaftigkeit paaren.‘“
Der Druck hat Tiedjes Mandanten nicht geholfen – man kann spekulieren, ob die Strategie vieleicht sogar nach hinten losging. „Der Angeklagte Falk ist des gemeinschaftlichen versuchten Betrugs in Tateinheit mit gemeinschaftlicher unrichtiger Darstellung schuldig“, urteilte der Richter. Alexander Falk erhielt vier Jahre Haft. (Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.)
In Teil II gehe ich in der kommenden Woche darauf ein, wie das unüberlegte Ausschöpfen rechtlicher Möglichkeiten zu einem GAU für die Unternehmensreputation führen kann. Der Fall „Jack Wolfskin“: Ein Wolf beißt sich in den eigenen Schwanz.